Dienstag, 16. September 2014

Von Um-, Irr- und Norwegen


Bilder Nach der Übelfahrt mit der Fähre kommen wir als erstes an den norwegischen Zoll. Viel haben wir über die Einfuhrbestimmungen und Preise in Sachen „Bewusstseins-verändernde Konsumgüter“ gelesen und uns in Dänemark ausreichend eingedeckt. Wir beschreiten den Pfad der Tugend, indem wir unseren Alkohol deklarieren wollen. So erkläre ich dem Mann im Zoll-Häuschen haargenau, wie viele Büchsen Bier und Flaschen Wein sich im Bauch von Terence befinden im Wissen darum, dass wir die offiziellen Grenzen locker sprengen. Die Mengen, die ich nenne, entlocken ihm aber nur ein Gähnen und für die paar Kronen Steuern lupft der brave norwegische Staatsdiener noch nicht einmal seinen Allerwertesten und winkt uns mit einem müden Lächeln durch: Welcome to Norway!  (Den Äntebüsi hätten wir also nicht in die Ölflasche umleeren brauchen und auch den Träsch im Mineralwasserbehälter müssen wir vor dem Zähneputzen wohl wieder umkippen.)


Nach kurzer Fahrt erreichen wir unseren ersten Campingplatz in der Nähe von Kristiansand, wo die Einheimischen am Abend mit einem Netz gerade die Lachse davon abhalten, flussaufwärts zu schwimmen und für Nachwuchs zu sorgen. Ganz schöne Kaliber kommen da raus und natürlich ist die Verlockung gross, da auch ein wenig mitzumischen, aber wir widerstehen der Versuchung an diesem Fluss zu scheitern und fahren nordwärts in Richtung Stavanger – sind ja bloss 180 km... Katzensprung also. Doch als der Liebe Gott die Welt erschaffen hat, war am Ende noch eine ziemliche Schubkarre voller Berge, Flüsse, Fjorde und Seen übrig und die hat er dann in Norwegen deponiert, die dazugehörigen Tunnel hat er wohl irgendwo unter den Steintafeln mit den 10 Geboten verlegt. So fahren wir auf schmalen Strassen durch eine unglaublich imposante Landschaft hoch und runter. Mal direkt am Meer entlang, vorbei an kristallklaren Gebirgsseen und sprudelnder Wildbäche und wir beschliessen bald, nur an jedem zehnten Gewässer kurz zu fischen, da wir sonst Weihnachten irgendwo kurz vor Stavanger feiern müssten. 

Der „Momentanverbrauch“ von Terence springt von 2l auf der Talfahrt auf 48,5l wenn’s bergauf geht und kreuzen wir einen Lastwagen, dann gehen wir im Geiste schon mal die Offerten für neue Rückspiegel durch. Wir übernachten auf einem wunderschönen Campingplatz - direkt am Meer. Abends verfüttere ich einen guten Teil meiner mitgebrachten Sammlung von Meerforellenködern an die Seegrasfelder und Felsen vor der Klippe und Sabrina verhaftet ihren ersten Pollack (Das sind keine osteuropäischen Einwanderer – sondern Fische!)

In der Stadt Stavanger liegt gerade ein riesiges Kreuzfahrtschiff vor Anker und tausende Touristen überfallen die eigentlich gemütliche Stadt. Wir kreuzen mit unseren Fahrrädern durch die verwinkelten Gassen, vorbei an den Italienerinnen, die sich gegenseitig die norwegische Strickpullis aus den Händen reissen und einem Demonstrationszug von Kurden, welche aus ihrem nordischen Exil die Loslösung von der Türkei fordern. Da sich „Öcalan“ so gut auf „Kurdistan“ reimt,  macht das vom lyrisch-poetischen Standpunkt aus ganz schön etwas her.

Und schon geht die Fahrt weiter durch dieses Wunderland und wir steuern DAS touristische Highlight an, nämlich den „Prejkestolen“. Dabei handelt es sich um einen Felsvorsprung, von dem es 600m senkrecht in die Tiefe geht, herrlich gelegen über einem Fjord und da man keinen Eintritt verlangt, haben sich die Jungs auch das Geländer gespart. Einziger Haken – man muss erst mal da hochwandern. Die Marschzeit wird mit knapp 3h pro Richtung angegeben, wir verlassen den Campingplatz um 16 Uhr bei Nieselregen, das sollte doch noch locker reichen (!)

Um die Kohle für den 8 Fr. teuren Parkplatz zu sparen, schlage ich vor, die 5 km bis zum Einstieg der Wanderung mit dem Bike in Angriff zu nehmen. Kein Problem... wenn das nicht 5 km Bergstrecke wären! Nach zwei Kurven flucht Frau Wolfisberg (ehem. Lützel) zum ersten Mal, nach 2 weiteren Kurven (sie ist mittlerweile vom Drahtesel gestiegen), richtet sich die Wut gegen ihren sparsamen Ehemann. Die Wut weicht nach 2 weiteren Kurven blankem Hass und als sie dann beschliesst nicht mehr zu sprechen, verdammt sie innerlich den Moment, als sie am Küssnachter Seenachtsfest 2003 morgens um 02:30 an der Bar diesem betrunkenen Trottel nicht einfach die Telefonnummer einer Selbsthilfegruppe anstatt der ihren angegeben hat.  Wer nun glaubt, „Bergfloh Beat Breu“ der Familie hätte bei der Zielankunft wenigstens wie gewohnt ein Schinkensandwich bereitgestellt, irrt gewaltig und so verlaufen auch die ersten 2 km der Wanderung  so, wie Mann sich eine harmonische Beziehung vorstellt: wortlos.

Wir amüsieren uns dann herrlich ab den Touristen, die uns auf dem steilen, steinigen und glitschigen Bergweg entgegenkommen und wundern uns gleichzeitig, wie die das hier hoch geschafft haben. Von überhirteten Erstkommunikanten, über Greise, die dem letzten Hemd verdächtig nahe scheinen, bis zu Asiatinnen in Turnschlarpen und gebirgsmässig ausgerüsteten Flachlandtirolern ist alles dabei was man sich wünscht. Väter tragen ihre Frauen, Grossmütter stützen sich auf Enkel und auch der obligatorische Chinese in Sandalen fehlt nicht. Komisch nur, dass die uns alle noch blöder anschauen als wir sie, denn auf dem Weg nach oben scheint kein Mensch zu sein... sollte uns das nachdenklich stimmen?

Wir erklimmen das Ding in 1h 26 Minuten und sind neben einer kleinen Gruppe Spanier die einzigen, die um diese Zeit noch auf der Kanzel stehen. Das Eichhof Lager schmeckt hier oben doppelt so gut und wir haben den Prejkestolen ganz für uns alleine. Wenn ich bedenke, dass es für den kleinen Spielteich auf Rigi Kaltbad wirklich einen BfU genormten Zaun braucht, während hier tagtäglich Hundertschaften von Kindern über eine 600m Klippe blinzeln und sich zuvorderst auf die Kante setzen, dann erhalten die Begriffe „Verhältnismäßigkeit“, “Eigenverantwortung“ und „gesetzliche Überregulierung“ gerade neue Definitionen.

Sodeli, nun machen wir uns auf in Richtung Bergen. Es geht zu wie in den Erotikfilmen der 70er Jahre: "Immer munter Hoch und Runter" und das ganze natürlich stark bewaldet. In Kyrping gibt's zum ersten Mal frischen Fisch auf den Tisch (hammer Reim!) und zwischendurch muss  Terence auch immer wieder mal auf die Fähre. Touris hat's praktisch keine mehr und es scheint jeden Tag die Sonne. (Ich weiss schon, die Klugscheisser sagen jetzt: Das ist im Fall immer so! Aber ich meine damit, dass die Sonne scheint, ohne dass sie dies wie in der Schweiz hinter Wolken tut). Über Bergen muss ich nicht viel schreiben, die Bilder sprechen wohl für sich... das ist wirklich der Hammer und es wäre wohl ein Paradies für Chrigi Paul – denn hier darf offensichtlich wirklich jeder sein Haus so anmalen wie er will und wer im Schulfach „Kreativität“ gerade einen Jokertag eingezogen hat, der nimmt einfach „rostrot und weiss“ – damit liegt man nie falsch. 

Die obligate Fjordtour führt uns dann an Bord einer Fähre durch den beeindruckenden Sognefjord, welcher doch stattliche 1600m Tief ist. (Wovon wir allerdings nichts merken). Schweinswale ziehen vorbei und wir klopfen uns gegenseitig auf die Schulter: Alles richtig gemacht – Norwegen wie im Bilderbuch!

In Jolvassbu geht es dann zum Fliegenfischen an einen traumhaften Bach, wo der eine Teil der Familie auch die ersten Bachforellen überlisten kann. Der andere Teil darf den Frust mit einer Flasche Eggisbühler Blauburgunder aus Muggli Seppis Beständen bewältigen und im Wissen darum, die modischsten Wathosen der westlichen Hemisphäre zu tragen, erbarmt sich auch der Schutzpatron seiner Petri-Jüngerin und schenkt ihr einige Rotgetupfte.

Alles was man hier touristisch vermarkten will, wird mit der Präambel „Troll“ bestückt. So gibt es Trollwege, Trollspielplätze und Trollparks und in den Supermärkten natürlich die gewöhlichen Trolltreppen. Wir, bzw. Terence, erklimmen derweil den berühmten Trollstiegen. Das ist eine hardcore Passfahrt mit zahllosen Kurven wie am Gotthard und auf dem Pass steht dann eine Aussichtsplattform, die ihren Namen wirklich verdient hat. (Ich denke mal, dass die Nummer gut gesponsort ist von den zwei Tankstellen, die sich auf beiden Bergseiten befinden – aber touristisch tiptop gemacht, kann man nicht meckern. Trollig halt! Die Talfahrt bringt Terences’ Bremsen dann aber schon arg ins Schwitzen und sorgt für einen gänzlich neuen Raumduft der Marke „Airbreeze Automechanic“.

Die ganzen Fähren schlagen budgetmässig ziemlich zu Buche. Was aber wirklich einschenkt, sind die Strassenzölle. Sobald man eine Autobahn oder einen Tunnel befährt oder man  eine Stadtgrenze überquert, dann steht dort eine „Automatic Bombstation“. (Das ist kein Überbleibsel aus WW2!) Dort gibt es ein Foto von Terence und eine kleine Rechnung flattert ins Haus – in drei Wochen kommen wir auf gut 300 Franken. Also bei der nächsten Abstimmung über die Preiserhöhung der Autobahnvignette, werden wir wohl für einen "nurfürNorweger-Passus" plädieren.

Kurz vor Trondheim befahren wir die spektakuläre Atlantikkstrasse, welche über kleine Brücken von Insel zu Insel führt und wir treffen noch auf Terence’s Freund Bud. An gewissen Stellen haben die Jungs hier sogar separate Stege für Angler angebracht – coole Sache!

Trondheim ist dann nicht gerade der Renner und eigentlich wollten wir ja hoch zu den Lofoten... aber alter Schwede, das sind ja nochmal 1200 km und das Wetter dort oben, haben sie laut Wetterbericht der Schweiz abgekupfert. So beschliessen wir, stattdessen einen abgelegenen Campingplatz auf einer Halbinsel am Meer anzusteuern und Terence nach 3700 km mal eine kleine Pause zu gönnen. Wir landen einen Volltreffer und stehen in Aglen direkt am Wasser. Kleine Bucht, Bootsvermietung, Wandermöglichkeiten,  abgelegener Süsswassersee mit Forellen drin – Herz was willst du mehr? Wir nehmen uns vor, zum unbekannten See zu wandern, voll ausgerüstet in Wathosen und mit Fliegenruten. (Weil man ja nicht einfach nur sinnlos Wandern soll). „30 Minuten“, sagt der Junge an der Reception... und es kommt, was kommen musste... Ein weiteres Kapitel in der Serie „Zielloses Wandern durch die tiefste Pampa in Vollmontur.“ Nach zwei Stunden stehen wir transpirierend wie der Eisbär in der Sauna irgendwo im tiefen Wald, umgeben von Felswänden, Mücken und Pilzen, die hier aus dem Boden schiessen wie Aldi-Filialen in Winterthurer Aussenbezirken und müssen feststellen, dass wir uns heillos verlaufen haben. Übung abbrechen, geordneter Rückzug, weitere Attacke auf den Folgetag verschieben, mit eingehendem Kartenstudium und Konsultation von Eingeborenen. Es stellt sich dann heraus, dass wir genau etwa 300m vom See entfernt waren und wir erobern dieses vergessene Stück Wasser halt tags darauf – so ist das, wenn man Zeit hat.

Natürlich fahren wir dann auch auf's Meer raus um mal zu schauen, was sich da unten so tummelt. Nach einigen windigen Tagen geht’s raus und schnell sind die guten Stellen gefunden. Sabrina hat ein gutes Händchen, was natürlich ein glänzendes Licht auf ihren erfahrenen Lehrer wirft. Nach einigen schönen Dorschen, Schellfischen, Köhler und Pollacks ist sie dann aber doch etwas erschöpft, um jedes Mal gleich einzukurbeln, wenn wieder ein kleiner Fisch zugepackt hat. Dies führt dann unweigerlich dazu, dass der kleine Fisch selber zum Köder wird und Madame sich plötzlich mit der Situation konfrontiert sieht, dass da auf der anderen Seite der Leine ein Ding hängt, das der Bezeichnung „Sportfischen“ endlich auch einen Sinn verleiht. Ich gebe zu, das familientinterne Wettfischen habe ich nach dem 20 pfündigen Dorsch, den die junge Frau später in die Luft stemmt, definitiv verloren und nach einem kurzen Fotoshooting darf Herr Dorsch dann wieder abtauchen, denn die Kapazitätsgrenzen unseres Tiefkühlfachs hätte dieser Brummer locker gesprengt.

Sodeli, das wars von drei Wochen Norwegen, nun brechen wir auf in Richtung Osten und wollen mal sehen, was die alten Schweden für uns bereit haben. Eines steht fest: Wir waren nicht zum letzten Mal hier! Euch wünschen wir schon jetzt eine prächtige Alpabfahrt. 

(P.S. @ Buffi, falls du es geschafft haben solltest bis hierhin zu lesen: Danke für das Klugscheisser Quiz - so gewinne ich hier wenigstens noch in einer Disziplin).

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